Scherfestigkeit

1. Scherfestigkeit

Das Korngerüst eines Bodens trägt die angreifenden Lasten. Die Kenntnis der Tragfähigkeit, dieses Korngerüsts ist daher von entscheidender Bedeutung, wenn Standsicherheitsnachweise z.B. für Fundamente, Böschungen u.a. geführt werden müssen. 

 

Ein Lockergestein ist ein aus Feststoffteilchen aufgebautes Gefüge mit Poren und ist daher gegenüber Scherbeanspruchungen empfindlich. Die Scherfestigkeit ist ein Maß für die Fähigkeit diese Scherbeanspruchungen aufzunehmen, ohne zu versagen und plastische Verformungen zu erleiden.

Im nachfolgenden Bild sind verschiedene Bruchformen von zylindrischen Probekörpern dargestellt, die durch eine Verschiebung innerhalb des Korngefüges auf einer Gleitfläche entstanden, die Scherfestigkeit wurde also überschritten. Die Schubspannung auf dieser Gleitfläche wirkt dabei als treibende Kraft, die Normalspannung auf dieser Gleitfläche als rückhaltende Kraft. Die Festigkeit der Einzelkörner wird nur in den seltensten Fällen überschritten.

 

Im nachfolgenden Bild wird die Mechanik einer auf Schubbeanspruchung versagenden Bodenprobe verdeutlicht. Nach einem anfangs annähernd linearen und elastischen Verhalten beginnt der nichtlineare Zusammenhang zwischen Schubspannung und Scherdehnung bis hin zum Erreichen eines maximalen Werts der Schubspannung. Dies ist der Wert der Schubspannung im Bruchzustand, die Scherfestigkeit, τf. Sie wird für erdstatische Berechnungen im Erd- und Grundbau benötigt. Nach einem Entfestigungsbereich erreicht der Boden eine Restscherfestigkeit (große Verformungen!), τr .

 

Man verwendet für die Scherbeanspruchung auch die Differenz der Hauptspannungen, die Deviatorspannung q = σ1 - σ3. Die Scherfestigkeit eines Lockergesteins wächst mit der Normalspannung σ bzw. mit dem isotropen Spannungsanteil p = σm = (σ1 + σ2 + σ3)/=3; sie fällt mit der Zunahme des deviatorischen Spannungsanteils q ab.

Die Scherfestigkeit setzt sich zusammen aus zwei Anteilen, der Reibung und der Kohäsion im Boden. Sie hängt ab von der Art und der Beschaffenheit der Bodenteilchen, der Struktur des Bodens, dem Wassergehalt und von seiner Vorbelastung.

Die Scherfestigkeit τf wird in Scherversuchen nach DIN 18137 bestimmt. Sie wächst mit der Größe der Normalspannung, die in diesem Lockergesteingerüst wirkt. 

Werden körnige Böden gezwungen, sich gegeneinander zu verschieben, so werden Reibungskräfte in einer Scherfuge wirksam. Wenn Erdkörper aus Feinststoffen ihre Lage zueinander ändern sollen, so müssen zusätzlich Kohäsionskräfte in der Scherfuge überwunden werden.

Coulomb formuliert einen linearen Zusammenhang zwischen der Reibkraft FR in der Scherfuge und der Normalkraft FN, bzw. zwischen der Scherspannung und der Normalspannung für Böden in einer Fuge, in der die Scherverformungen konzentriert stattfinden.:

 

Bindige Böden mit tonigen Bestandteilen entwickeln jedoch zusätzliche Haftkräfte, die durch Oberflächenspannungen des Wassers in den Poren verstärkt werden. Diese Haftkräfte – Kohäsionskräfte –  hängen u.a. vom Tonmineral und vom Wassergehalt ab. Die Kohäsionskräfte nehmen mit zunehmendem Wassergehalt ab und verschwinden bei einer Sättigung.

Auch nichtbindige Böden, z.B. feuchte Sande, besitzen Haftkräfte zwischen den einzelnen Körnern. Sie werden ausschließlich durch die Oberflächenspannung des Wassers gebildet. Trocknet dieser nichtbindige Boden aus oder tritt eine Wassersättigung dieses Bodens ein, so verschwinden auch diese Haftkräfte. Diese Kräfte bezeichnet man als scheinbare Kohäsion. Sie sollten bei erdstatischen Berechnungen nicht verwendet werden.

Die Scherfestigkeit τf als Größtwert der Schubspannung in einer bestimmten Scherfuge im Grenzzustand lautet daher unter Berücksichtigung der Kohäsion:

 

Der Grenzspannungszustand kann auch durch die zugehörigen Hauptspannungen beschrieben werden, die ihn herbeiführen. Das Verhältnis der Hauptspannungen σ1 und σ3 im Grenzzustand wird durch den Mohr’schen Spannungskreis des Bruchzustands wiedergegeben. Diese Hauptspannungskreise haben eine gemeinsame Umhüllende. In der Bodenmechanik wird für begrenzte Spannungsbereiche diese Umhüllende entsprechend als Gerade angenommen, vgl. folgende Abbildung. Sie wird als Mohr-Coulomb‘sche Grenzbedingung bezeichnet und ist eine Tangente an die Hauptspannungskreise des Bruchzustands.

 

1.1 Rahmenschergerät

Die Scherfestigkeit kann u.a. mit einem Direkten Schergerät (Rahmen- oder Kastenschergerät) bestimmt werden. Durch das Gerät und die Versuchsanordnung ist eine Scherfuge vorgegeben. Die Bodenprobe wird in einen zweiteiligen Kastenrahmen eingebaut, dessen Ober- und Unterteil gegeneinander verschoben werden können. Die Scherfläche läuft also genau zwischen dem Ober- und dem Unterteil.

Nach dem Aufbringen einer Normalkraft normal zur Scherfläche wird der Boden konsolidiert, es entweicht das Wasser der Probe durch die Filtersteine. Danach wird entweder die Scherkraft in der definierten Scherfuge ständig gesteigert oder die Kastenrahmenteile werden mit einer konstanten Geschwindigkeit bei konstanter Normalspannung gegeneinander verschoben.

 

Während des Versuchs werden die Scherkraft, die Verschiebung und die Normalkraft ständig dokumentiert. Die Scherfestigkeit ergibt sich zu τ = Scherkraft/Scherfläche und die Normalspannung zu σ = Normalkraft/Scherfläche. Drei Einzelversuche liefern die Wertepaare für τ und σ, aus denen das Scherdiagramm erstellt wird. 

 

Aus dem Scherdiagramm werden dann die drainierten Parameter c’ und  ᵠ’ ( „’ “ deutet auf einen drainierten Versuch hin) als Wertepaar gewonnen, vgl. folgendes Bild:

Je nach Bodenart unterscheiden sich die Scherdiagramme. Im folgenden Bild sind einige Bodenarten bezüglich ihres Scherverhaltens qualitativ angegeben.

 

Schergerade 1 stellt das Ergebnis eines Scherversuchs für einen nichtbindigen Boden dar, z.B. Sand oder Kies, also einen Reibungsboden. Schergerade 2 zeigt Ergebnisse für einen Reibungsboden mit kohäsiven Anteilen. Der Boden entwickelt einen inneren Reibungswinkel, besitzt jedoch auch eine Kohäsion, c2’ ≠ 0. Das Ergebnis eines Scherversuchs an einem reinen Kohäsionsboden (bindig, unkonsolidiert) zeigt die Schergerade 3. Der Boden entwickelt keinen inneren Reibungswinkel, besitzt jedoch eine Kohäsion.

1.2 Triaxialgerät

Im Triaxialgerät befindet sich die mit einer Gummihülle abgedichtete Bodenprobe in einem zylindrischen Gefäß und wird einem isotropen dreiaxialen Spannungszustand ausgesetzt (σ1 = σ2 = σ3). Danach wird die axiale Hauptspannung σ1 bis zum Versagen der Probe gesteigert, wobei der Zelldruck (σ2 =σ3) konstant gehalten wird. 

Die Steigerung von σ1 erfolgt häufig durch konstanten Vorschub in vertikaler Richtung oder durch stufenweise Erhöhung der vertikalen Last. Die waagerechte Druckspannung σ3 wird mit einem Zelldruck aufgebracht. 

Die Probe ist an seinen Enden durch einen Filterstein bedeckt, durch den das während des Versuchs ausgedrückte Porenwasser abgeführt und gemessen werden kann. So lässt sich die Volumenänderung einer wassergesättigten Probe messen bzw. der sich während des Versuchs innerhalb der Probe entwickelnde Porenwasserdruck u messtechnisch erfassen.

Die folgenden Parameter werden gemessen: 

  • der Zelldruck σ3
  • die axiale Kraft, daraus wird σ1 errechnet 
  • die Deformation der Probe
  • ggf. der Porenwasserdruck u.

Mit den gemessenen Hauptspannungen gewinnt man die Scherparameter ᵠ' und c:

Drainierter Versuch (D-Versuch)

Bei diesem Versuch wird die deviatorische Spannung (schubspannungserzeugende Hauptspannungsdifferenz σ1 - σ3) verändert, in der Bodenprobe verbleibt jedoch trotz dieser Änderung kein Porenwasserdruck, da der Porenwasserüberdruck durch eine Drainage abgebaut wird (je feinkörniger der Boden ist, desto langsamere Belastung). Effektive Spannungen werden ausgewertet und damit die drainierten Scherparameter ᵠ’ und c’ ermittelt

 

Hinweis: 

Es muss zwischen der Schergerade und der Bruchgerade unterschieden werden. Die Bruchgerade bildet die Verbindung der Spannungspunkte im Bruchzustand. Die Bruchgerade besitzt der Winkel α und hat einen „Anfangswert“ b. Die Schergerade (ᵠ,c) stellt die Umhüllende der Spannungskreise dar und beschreibt damit die Scherparameter.

Zwischen den Parametern b und c bzw. α und ᵠ bestehen feste Beziehungen: 

sin ᵠ’ = tan α’,
c’ = b’ / cos ᵠ’

Konsolidierter, undrainierter Versuch (CU-Versuch)

Auch bei diesem Versuch ist der Abbau des Porenwasserüberdrucks in der Konsolidierungsphase möglich. Dadurch herrscht zu Ende der Konsolidierung ein effektiver Spannungszustand. Nachfolgend wird die Probe bei einem geschlossenen Porenwaserdrucksystem abgeschert. Dabei wird der Porenwasserdruck gemessen. Effektive Spannungen (σ’ = σ - u) können so berechnet und die zugehörigen Scherparameter ermittelt werden. Es werden die gleichen Scherparameter ᵠ’ und c’ ermittelt.

 

Unkonsolidierter, undrainierter Versuch (UU-Versuch)

Das Porenwasserdrucksystem ist vom Einbau bis hin zum Abschervorgang geschlossen. In der Probe sind wirksame Spannungen vorhanden, die auch durch die Veränderung des allseitigen Drucks nicht beeinflusst sind. Der Porenwasserdruck steigt dabei an. Beim Abscheren kann der Porenwasserdruck ebenfalls, je nach Spannungsgeschichte und Sättigung, abnehmen. Die undrainierten Scherparameter ᵠu und cu werden so ermittelt.

 

1.3 Einaxialer Druckversuch

Gemäß DIN 18136 werden zylindrische Proben unter Spannungsbedingungen σ2 = σ3 = 0 bei konstanter Geschwindigkeit abgeschert. Es ergibt sich somit der folgende Bruchkreis:

 

Eine Aufteilung der Scherfestigkeit in Reibungs- und Kohäsionsanteil ist nicht möglich. Die Scherfestigkeit von bindigen wassergesättigten Böden kann berechnet werden zu:

 

Sowohl im Feld- als auch im Laborversuch kann mit Hilfe einer Flügelsonde nach DIN EN ISO 2476-9 die undrainierte Scherfestigkeit ermittelt werden. Es wird angenommen, dass an der Mantelfläche und den Stirnseiten eine gleichmäßige Spannungsverteilung vorhanden ist. 

Aus dem aufgebrachten maximalen Drehmoment und dem Durchmesser der Sonde kann die Scherfestigkeit berechnet werden mit:

 

Aus dem maximalen Scherwiderstand cfv lässt sich unter Berücksichtigung eines Korrekturwerts μ - u.a. in Abhängigkeit der Plastizitätszahl des erkundeten Bodens - die undrainierte Scherfestigkeit cu ermitteln:

 

2. Scherparameter

Die effektiven Scherparameter ᵠ' und c‘ sind Parameter des entwässerten, dränierten Bodens und werden durch die Grenzbedingungen der effektiven Spannungen ausgedrückt. Diese Parameter werden für die Untersuchung von Standsicherheiten bei nicht bindigen oder von Endzuständen – also auskonsolidierten Zuständen – von bindigen Böden verwendet. 
Die Scherparameter cu und ᵠu des undränierten bindigen Bodens werden aus UU-Versuchen gewonnen. Sie werden als die totalen Scherparameter bezeichnet. Beim UU-Versuch ändert sich der Wassergehalt nicht. Beim CU-Versuch verändert er sich aufgrund der Drainierungsbedingungen. Es ergeben sich daher aus beiden Versuchen unterschiedliche Scherparameter cu und ᵠu

Die Größe cu bezeichnet die Kohäsion des nicht entwässerten, undränierten Bodens. ᵠ​​​​​​​u ist der Reibungswinkel des undränierten Bodens. cu hängt zum einen vom Wassergehalt und von der Abschergeschwindigkeit. 
Die Scherfestigkeit eines nicht entwässerten bindigen Bodens wird zugrunde gelegt, wenn die Standsicherheit für den sogenannten Anfangszustand (t 0 =) eines Bauwerks berechnet werden soll.

Das Programm GGU-DIRECTSHEAR ermöglicht die Auswertung und Darstellung von Rahmenscherversuchen und Triaxialversuchen. Neben der Eingabe nur eines Bruchwerts und gegebenenfalls eines Gleitwerts für jeden Versuch kann auch eine Auswertung von ASCII-Dateien erfolgen, die Messwertaufnehmer von Schergeräteherstellern liefern.  

 

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